Am 25. Mai 2016 erschien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein Interview mit SOCAR-Vizepräsident Elshad Nassirov über den aktuellen Stand des Megaprojekts Südlicher Gaskorridor:

Herr Nassirov, über das sich in der Entstehung befindende Projekt Südlicher Gaskorridor soll in einigen Jahren Erdgas aus Aserbaidschan in die Europäische Union transportiert werden. Wie kommt der Bau voran?

Der Südliche Gaskorridor liegt im Plan – ab 2020 strömt Erdgas aus Aserbaidschan in die Europäische Union. Es ist wahrlich ein herausforderndes Projekt. Insgesamt 3500 Kilometer Erdgas-Pipeline verbinden sieben Länder von Aserbaidschan bis Italien. Der Projektfortschritt in Aserbaidschan und in Georgien liegt bei aktuell 60 Prozent. Bis Ende 2016 werden 80 Prozent der Arbeiten im Upstream-Bereich und bei der Erweiterung der aserbaidschanisch- georgischen Teilstrecke der Südkaukasus-Pipeline abgeschlossen sein. Schon jetzt arbeiten über 26 000 Menschen an diesem Projekt, auch 11 international operierende Unternehmen und 11 Gasgroßhändler sind beteiligt. Wir sind alle entschlossen, unse- ren Teil dazu beizutragen, das Projekt termingerecht fertigzustellen.

Die Schätzungen über das Erdgasvorkommen in Aserbaidschan liegen bei bis zu 6 Billionen Kubikmeter. In welcher Größenordnung wird nach Fertigstellung des Südlichens Gaskorridors Erdgas nach Europa fließen?

Wir fördern derzeit mit unseren Partnern 29 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr aus den Tiefen des Kaspischen Meeres. Im Jahr 2020 soll die Erdgasförderung auf 50 bis 55 Milliarden Kubikmeter steigen. Ein Teil wird zur Aufrechterhaltung des Ölfördervolumens in den Boden zurück- gepumpt. Dann strömen 10 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr aus Aserbaidschan in die Europäische Union. Die heute bestätigten Erdgasreserven Aser- baidschans betragen 2,55 Billionen Kubikmeter. Und in der Tat: Experten vermuten Erdgasvorkommen von insgesamt bis zu 6 Billionen Kubikmeter in Aserbaidschan – davon 2,2 Billionen Kubikmeter in den Erdgasfeldern Babek, Nakhchivan, Zafar-Mashal, Araz-Alov-Sharg und Shafag-Asiman im Kaspischen Meer.

An diesem Großprojekt sind zahlreiche Länder beteiligt …

… in der Tat. Im Februar tagte der „Southern Gas Corridor Advisory Council“. Das ist eine gemeinsame Initiative der Europä- ischen Kommission und Aserbaidschans. Zwölf Minister neben anderen Vertretern aus Aserbaidschan, Georgien, der Türkei, Albanien, Griechenland, Bulgarien, Kroatien, Montenegro, Italien, Großbritanni- en, den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union trafen sich dazu in Baku. Auch die Europäische Bank für Wieder- aufbau und Entwicklung, die Asian Deve- lopment Bank, die Internationale Finanz- Corporation und die European Investment Bank waren beteiligt. Am Ende wurde eine Erklärung unterzeichnet, die die nächsten rechtlichen Schritte und Maßnahmen in den Ländern des Südlichen Gaskorridors regelt.

Der Bau dieser Pipeline ist vor allem auch eine strategische Entscheidung auf EU-Ebene. Welche Rolle spielt der Südliche Gaskorridor für die Energiesicherheit Europas?

Der Südliche Gaskorridor bietet Chancen sowohl für Aserbaidschan als auch für die Transitländer – und natürlich für die Euro- päische Union. Aserbaidschan öffnet zum ersten Mal in seiner Geschichte seine riesi- gen Erdgasressourcen für die Welt. Für Geor- gien, die Türkei, Griechenland und Albanien ist der Gaskorridor das größte Infrastruk- turprojekt in deren Geschichte. In der Türkei zum Beispiel wird zum ersten Mal eine Tran- sitpipeline das gesamte Land durchqueren. Für die Europäische Union selbst entsteht durch das Projekt eine alternative Erdgas- quelle. So sprach die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini beim Treffen des „Sou- thern Gas Corridor Advisory Council“ im Februar in Baku vom Südlichen Gaskorridor als „einem wesentlichen Bestandteil der EU- Strategie zur Energiesicherheit“. Doch die Energiesicherheit der Europäischen Union kann natürlich nicht allein von Aserbaid- schan gewährleistet werden. Auch die eu- ropäischen Organisationen, wie etwa die OSZE, sollten sich verstärkt für die Sicherheit des Projekts und für den Schutz der Pipelines vor möglichen Angriffen einsetzen.

Die Investitionen in das Projekt sind hoch …

… ja, das sind sie. Geplant war ein Gesamt- investitionsvolumen von 45 Milliarden Dollar. Dazu gehören Ausgaben für 26 Bohr- brunnen im Kaspischen Meer, Offshore-Anlagen und für den Ausbau des Erdgas- und Erdölterminals Sangachal bei Baku. Auch die Erweiterung der Südkaukasus-Pipeline vom aserbaidschanischen Baku über Geor- gien ins türkische Erzurum sowie die Trans- Anatolische-Pipeline (TANAP) von Erzurum bis zur westtürkischen Grenze gehören zu dem Megaprojekt. Beim Bau der TANAP-Pipeline konnten wir bislang mehr als 2 Milliarden Dollar gegenüber den ursprünglich geplanten Ausgaben einsparen. 31 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr sollen im Endausbau durch TANAP fließen. Dank der veränderten Konjunkturbedingungen erwarten wir weitere Ersparnisse beim Bau der Pipelines.

Das staatliche aserbaidschanische Energieunternehmen SOCAR und seine Partner investieren viel in den Südlichen Gaskorridor. Was erhoffen Sie sich von diesem Projekt?

Aserbaidschan ist ein Binnenstaat. Als solcher ist er auf einen direkten Zugang zum Absatzmarkt angewiesen. Wir brauchen den europäischen Markt mit seinem fairen Kartellrecht. Nach der Fertigstellung des Projekts werden wir unsere Kräfte auf die Erschließung weiterer Felder konzentrieren. Auch diese Volumina werden nach Europa transportiert. Damit wird das Gesamtvolumen des Südlichen Gaskorridors in Zukunft erweitert. Wir sehen jedoch das Projekt Südlicher Gaskorridor nicht nur als wirtschaftliches Projekt – es schafft vielmehr eine Verbindung zwischen dem Kaukasus und Europa. Und schlussendlich erwarten wir positive Auswirkungen des Projekts auf die Umwelt in den beteiligten Ländern. Denn verglichen mit den anderen fossilen Energie- trägern stellt Erdgas die umweltfreundlichs- te Übergangslösung im Prozess der Energie- wende dar.

Das Interview führte Christina Lynn Die.